JOACHIM KAISER IN DER SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG 18.8.1960
Gestapo – Komödie zu Ernst Lubitschs Film „Sein oder Nichtsein“
Ein großes, gewiss nicht unproblematisches Filmvergnügen: der Schauspieler-Gestapo-Film „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch. Daß man diesen Film erst jetzt in Deutschland herausbringt, hat seinen guten Grund: Es wäre sehr schwergefallen, die in einer Schauspieler- und Verwandlungskomödie transportierte, aber natürlich nie tendenziös verharmloste SS-Wirklichkeit nebst allen ihren Konsequenzen als Komödie hinzunehmen.
Kann man es 1960? Als der Film mit einer etwas billigen, kindischen SS-Hauptquartier-Szene begann, dachte man gleich: Wie ist es nur möglich, daß selbst Lubitsch solche Harmlosigkeiten unterlaufen? Aber nach ein paar Minuten rückt die Kamera zurück und es zeigte sich, daß im August 1939 am Warschauer Theater ein SS-Stück einstudiert wurde.
Ich habe bisher immer geglaubt, aus dem Dritten Reich ließe sich kein Film kein Drama machen. Irgendwie werde die Dinge immer verzerrt, verharmlost, zu subjektiven Konflikten verfälscht. „Sein oder Nichtsein ist möglich, weil der Film nicht in erster Linie politische Aufklärung betreiben sondern - im Schatten des Grausamen - Komödie sein will. Als Komödie des Verstehens hat er, was Geist, Witz, Niveau betrifft, in der jüngsten Produktion seinesgleichen nicht.
Neben moralischen Einwänden behaupten die stupenden Gescheitheit des Dialogs, die Selbstironie und der virtuos zugespitzte Witz der dramaturgischen Konstruktion also ihr Komödien-Eigenleben. Bisher hätte man meinen können, daß einzig Chaplins „Monsieur Verdoux“ - jene bös komische Darstellungen privater Gutmütigkeit und berufsmäßigem Mördertum - dem Verhängnis filmisch gewachsen war. Lubitsch Film „Sein oder Nichtsein“, der nie die Grenzen des Kinos aus den Augen verliert, ist ein ähnliches Wunder gelungen. Gestapo und Komödie sind im Namen rätselhafter Kunstfertigkeit für 90 Kinominuten zusammengezwungen worden. Größe das heißt hier: Mut zur Komödie, Virtuosität und…Phantasie.
Joachim Kaiser 18.8.1960 Süddeutsche Zeitung
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